Compagnie
Pal Frenak endlich wieder einmal in Deutschland – The Hidden
Men
Dieter Topp @ OnlinePresse
2014 April 10
,,In
jedem Manne steckt ein Kind“, diese Weisheit ist jedem bekannt.
In The Hidden Men geht der ungarische Choreograph Pal Frenak weiter
und taucht wesentlich tiefer in die Psyche des Mannes ein …
Zum Abschluss des Aachener
„schrittmacher-just dance“ Festivals wurde in diesem Jahr
die ungarisch-französische Pal Frenak Compagnie präsentiert.
Mit der geballten Wucht sich bewegender Körper, die alle
erdenklichen männlichen Phantasien und Attitüden in den
Bühnenraum einbringen, agieren Zoltan Feicht, Peter Holoda,
Nelson Reguera und Leonardo Maietto mit Unterstützung des
Akrobaten Danilo Pacheto. In atemberaubenden 50 Minuten, die an drei
dicken Seiten im Raum beginnen, analysiert Frenak den Mann, das
(un)bekannte Wesen, mal als machoider, mal als effeminierter Narziss.
Direkt zu Beginn am Seil in den Höhen der Bühnen bedeuten
die Tänzer, dass dieses Seil, ein Mittel zu einer neuen
Dimension im zeitgenössischen Tanz, ganz klar auch das Symbol
des Phallus bedeutet. Daran hängt mann, davon hängt mann
mehr oder weniger ab.
Die Choreographien Frenaks
umgreifen stets den gesamten Raum, immer sind seine Tänzer auch
Schauspieler, die ein ästhetisches Gesamtkunstwerk von Aktion
und Dimension verbunden mit Klang und Licht abliefern. Obwohl The
Hidden Men bereits zehn Jahre alt ist, hat das tänzerische Spiel
um Stärke und Macht, Überheblichkeit und Kräftemessen,
Zuneigung und tief innewohnender Weiblichkeit, eine beachtliche
Aktualität im andauernden Kampf um die Gleichberechtigung von
Schwulen und Lesben in der Gesellschaft. In einer radikalen Version
seziert diese Choreographie die männliche Sexualität und
konfrontiert uns schlaglichtartig mit unterschiedlichsten Aspekten
von Ursprung und Unterbewusstsein, eine offensichtliche Affinität
zu Pier Paolo Pasolini und den Ideen zu Francis Bacon und Gilles
Deleuze.
Da zeigen sich die zarten,
Größe messenden Blicke und das sich bewegen Wollen im
Outfit einer Ballerina, dem gegenüber eine rüpelhafte
Kumpanei von Umarmung, Liebkosung, erschrockenem Abstoßen, die
Angst vor dem eigenen Ich, die in extremer körperlicher Gewalt
einen Ausweg sucht. „Ihre Sinnlichkeit ist kompromisslos, ihre
Grobheit poetisch“, beschreibt es die Festivalleitung. „Eine
faszinierende Achterbahnfahr der Gefühle, Sehnsüchte,
Irrungen und Wirrungen … ein Reigen aus Macho-Irrsinn,
aufschneiderischen Gebaren, rüpelhaften Rangeleien, schreiender
Gewalt und Affengehabe bis hin zum ungezogenen Drang paarungswütiger
Rüden, (um) möglichst alles in ihrer Umgebung zu packen und
ihr Terrain zu markieren“, fügt die Kritikerin Sabine
Rother an.
„This is a Man’s
World“ erklingt, wenn die gestählten Männerkörper
der vier Frenak Tänzer die weibliche Seite in skurril grotesken
Bewegungen und im Tütü einbringen, eine tänzerische
Hommage an den Hollywood Film von 1995 „To Wong Foo“, in
dem die Action-Heroes Wesley Snipes, Patrick Swayze und John
Leguizamo ihre Seidenstrümpfe anziehen und Make-up auflegen, um
der anderen Seite des Mannes das Podium zu bereiten. Die äußerst
verhaltene Nacktheit ist das eher Ungewohnte bei dieser Inszenierung,
denn Körper und nackte Körperlichkeit spielen bei Pal
Frenak Inszenierungen eine bedeutende Rolle. Ähnlich wie Harald
Kreutzberg oder Mary bringen Frenaks Tänzer (dem Butoh-Theater
gleich) ein anderes Erleben zum Ausdruck und werden wie Butoh mit der
„Entdeckung des dunklen Körpers“ somit zu einem
zeitgenössischen Theater des Widerstandes gegen die
beherrschende Gesellschaft „Der (Butoh) fremde, verfremdete,
entfremdete Körper war und ist weiß geschminkt, (fast)
nackt, dazu zeigt der Tänzer Verrenkungen und Bewegungen, wie
man sie in einem Ballett wie bei Schwanensee von Tschaikowski nie
finden würde. Eine solche Darbietung wird zum Spiegel der Zeit,
sie wendet sich gegen eine “ …grauenerregende
artifizielle Harmlosigkeit und Biederkeit“ und bedient sich
radikal des Absurden und der Groteske, was Erschrecken und Abwehr
beim Zuschauer hervorrufen kann und soll. (Wie zufällig gewann
an diesem Abend eine rechtsnationalistische Partei in Ungarn die
Mehrheit ein weiteres Mal.)
Mit „Architektur“
hat die Compagnie das Tanztheater um eine Dimension erweitert. Mal
ein Sofa, mal eine Schaukel, hier drei Seile, die durch Licht und
Bewegung die Dimension Raum zum Schwingen bringen. Darin agieren mit
Perfektion die Tänzer. Nelson Reguera, der in sehr vielen
Stücken einen Hauptpart tanzt, besticht durch absolute
Präzision. Daneben der noch sehr junge Peter Holoda, die beide
gemeinsam den Raum umgreifend mit großen parallelen Aktionen
von Sprüngen und Pas-de Deuxs die ihnen innewohnende und
notwendige Kraft federleicht in Figuren einzubringen vermögen.
Sie sind fantastische Könner, die die beiden anderen Kollegen
mitnehmen und dem Bühnengeschehen zu einer gelungenen
Ensembleleistung verhelfen.
1998 wurde aus der bereits
zehn Jahre bestehenden Truppe eine ungarisch-französische
Compagnie. Dass der Chronist vor einigen Jahren diese herausragende
Truppe im rumänischen Timisoara kennen lernen durfte, war ein
Glückfall, denn viel zu selten sind ihre Auftritte in
Deutschland und West Europa. Dem entgegen zu wirken ist das Verdienst
des Aachener Festivals und den kommenden Auftritten zur Eröffnung
des Tanzfestivals am 6. und 7. Juli in Bielefeld, wo die Compagnie
schon 2010 mit „InTime“, eine mindestens ebenso starke
Interpretation des weiblichen Körpers, das Publikum begeisterte.
(Dieter Topp)